Über die Aussichtslosigkeit menschlicher Bemühungen – mit mehr Witz als Wehmut Wiener Scala zeigt "Onkel Wanja" von Tschechow. Ein Klassiker, ohne Mätzchen, einfach „vom Blatt“ gespielt, dass es ein Vergnügen ist. Bei „Onkel Wanja“ im Theater Scala ist Regisseur Rüdiger Hentzschel ein schöner Balanceakt gelungen: Nonchalant dahingeplauderte Melancholie des Scheiterns und Komik kommen mit Tschechows Lächeln und großer Leichtigkeit daher. In der Kulisse eines hoch aufgetürmten Holzsesselsammelsuriums entsteht Spannung, obwohl die Leute auf der Bühne nur über ihre Leere und Einsamkeit reden. Und klagen. Worüber? Die Langeweile. Verpasste Chancen. Das verdämmernde Leben. Abgestumpfte Gefühle. Über das Parkett aus Selbstbetrug, Fatalismus und Weltschmerz tanzen virtuos Dirk Warme, der sich in der Titelrolle zwischen Hoffnungslosigkeit und hilfloser Wut aufreibt, und Rainer Doppler als Arzt und Naturschützer Astrow. Sonja Kreibich ist als Professorentochter Sonja die einzige Lichtgestalt bei der kollektiven Suche nach dem verlorenen Sinn. Nur die alte Kinderfrau Marina – berührend: Margot Ganser-Skofic – weiß: Gegen Langeweile hilft Arbeit und gegen Liebeskummer Lindenblütentee. Am Ende wird wieder alles wie es war. Und ist doch nichts mehr wie zuvor. Kurier/ Werner Rosenberger |
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Onkel Wanja Theater-Kritik I Die schlechte Nachricht kommt zum Schluss: "Man muss leben", sagt Sonja und aller Schmerz der Existenz liegt darin. Anton Tschechow hatte eigentlich eine Komödie schreiben wollen, aber zum Lachen gibt's kaum etwas. Schwermut, Trauer, Angst und Lieblosigkeit fesseln die Menschen, die einen Sommer lang ein Landgut bewohnen. Was Glück werden könnte, mündet in die Nichtigkeit des Lebens. Rüdiger Hentzschel hat die Bühne des Stadttehaters Mödling aus unzähligen Sesseln gebaut, ein geschlossenes Hotel ohne Zukunft. Seine Inszenierung ist beindruckend klar und einfach; nichts ist aufgesetzt, nichts artifiziell, Menschen sprechen mit Menschen. Aus dem hervorragenden Ensemble ragen Dirk Warme als Wanja und Rainer Doppler als Astrow. Fazit: Ein Meisterwerk der Wehmut meisterhaft klar auf die Bühne gestellt. Unbedingt anschauen. NÖN, TJ |
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Onkel Wanja Tschechow zu spielen, das kann heutzutage gut und gern heißen, die Darsteller nebeneinander auf eine Bank zu setzen und sie den ganzen Abend lang bewegungslos ihren Text ins Publikum leiern oder schreien zu lassen. Das mag dann die hektische Begeisterung des hohen Feuilletons erregen, aber den Qualitäten des Dichters wird man solcherart nicht gerecht. Was in Tschechow steckt, liegt in seinen Figuren, und man muss es wagen, sich ihnen so genau und liebevoll zu nähern, wie Regisseur Rüdiger Hentzschel es in seiner „Onkel Wanja“-Inszenierung für das Theater Scala tut. Dann geht alles unter die Haut – die Geschichte an sich, die Tragödie der einzelnen Existenzen, die Schärfe der Erkenntisse, die Aktualität des Bewusstseins, Tschechow eben. Tschechow. Ihn will der Regisseur „richtig“ begreifen, statt sich selbst in Szene zu setzen. „Onkel Wanja“ ist eines jener vier letzten, „großen“, immer wieder gespielten Dramen des Dichters: 1896, nach der „Möwe“ und vor „Drei Schwestern“ und „Der Kirschgarten“ entstanden, das ewige Quartett großen russischen Theaters. Als Störenfriede brechen die „Intellektuellen“ aus der Stadt, der alte Professor und seine schöne junge Frau Jelena, am Land ein, auf dem Gut, wo sein Schwager Wanja und Sonja, seine Tochter aus erster Ehe, unermüdlich arbeiten, um den Schmarotzern ihr Luxusleben zu finanzieren. Dass die Zerreißprobe hier nicht letal, sondern tragikomisch ausgeht, scheint wie ein Gnadenakt des Dichters. An geballter Traurigkeit bekommt man immer noch genug zu sehen und zu spüren. Vor allem das Ende (an sich kaum zu erspielen) ist eine herzzerreißende Hymne auf die unendliche Geduld des russischen Menschen, sein durch und durch tragisches Schicksal ergeben zu ertragen, mit Hinblick auf eine andere Welt. Tschechow, persönlich mit Religion nicht belastet, wusste, dass sie ein Hilfsmittel ist, das Leben über öde Jahrzehnte aushalten zu können… wenn Sonja und Wanja allein zurückbleiben, und Astrow, der Arzt, den Sonja liebt, letztlich nur Augen für Jelena hatte. Dieser Astrow ist an sich die funkelndste Gestalt des Stücks, ein früher Umweltschützer, dessen düsteren Untergangsbeobachtungen wir heute, wo unsere Welt fast am Ende ihrer Ressourcen angekommen ist, doppelt betroffen zuhören. Dabei hatte Astrow noch (die Inszenierung betont es allerdings nicht sehr, um nicht allzu viel Bitterkeit auszulösen) Hoffnung auf das Leben „in hundert, zweihundert Jahren“, das so viel besser sein würde… Rainer Doppler spielt den Astrow nicht schillernd-interessant, was auch möglich ist, sondern als anständigen, im Grunde gebrochenen, von einer nie weichenden Traurigkeit und dem Wissen um die Aussichtslosigkeit durchdrungenen Menschen. „Interessant“ ist hingegen der Wanja des Dirk Warme, einer, der nicht erst am Ende aufbegehrt, sondern von Anfang an in seiner Unruhe stark präsent ist – die Erkenntnis, sein Leben falschen Zielen geopfert zu haben, treibt ihn geradezu, und bei aller Komik, die er mit faszinierender Detailarbeit der Rolle gibt, ist doch auch er eine tieftragische Gestalt. Was die Tragik betrifft, schießt Sonja Kreibich in der Rolle der Sonja allerdings den Vogel ab: So viel ungekünstelte Schlichtheit wird man selten zu sehen bekommen, nie wird mit der Pose „Seht, was für ein armes Geschöpf ich bin“ kokettiert, immer ist da die absolute Selbstverständlichkeit einer Frau, die im Leben zu kurz gekommen ist, die einmal versucht, das Glück zu erlangen, scheitert und die sich in ihr Schicksal ergibt – so ruhig, dass der (schwierige) Schlußmonolog bis zu Tränen ans Herz greift (weil eben sie uns nichts vorweint…) Die anderen haben es leichter, sie dürfen vordergründiger glitzern, und das tun sie auch – Selina Ströbele schön, aber nicht oberflächlich als die Frau, die mit einer falschen Entscheidung lebt und zu einem unbürgerlichen Ausbrechen nicht die Kraft hat; Rainer Friedrichsen als monströs eitler, selbstbezogener Professor mit großer Geste, sogar Rremi Brandner in der kleinen Nebenrolle des „Gnadenbrot- Empfängers“, dem Tschechow die sanfte Möglichkeit einräumt, um seine Würde und um seine (dezimierte) Stellung in der Welt zu kämpfen. Aus der den Professor bewundernden Schwiegermutter haben andere Darstellerinnen schon mehr Komik und auch Verbohrtheit herausgeholt als Susanne Altschul (mit einfach zu schlechter Perücke, wenn man das sagen darf), hingegen kann eine alte Dienerin einfach nicht lebenswahrer, klüger und stärker besetzt werden als mit Margot Ganser-Skofic. Ein Bühnenbild, das sich der Regisseur aus einer Batterie alter Sessel und nur ein paar nötigen Möbelstücken gebaut hat, lenkt nur kurz ab und gibt dann die Möglichkeit, sich ganz auf die (von Alexandra Fitzinger halb heutig, halb neutral gekleideten) Darsteller zu konzentrieren. Nichts als Tschechow begibt sich unpathetisch und untheatralisch an diesem Abend, sein Wissen um Menschen und ihre Schicksale entfaltet sich so nachdrücklich, wie man es (für Tschechow in Wien) lange nicht gesehen hat. Online Merker, Renate Wagner |
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Theater zum Fürchten: Onkel Wanja Die Wohlstandsbürger zittern um ihre Werte Da jammern sie also wieder auf hohem Niveau, pflegen ihren Ennui und warten darauf, dass alles beim Alten bleibt. Das Theater zum Fürchten zeigt in der Scala Anton Tschechows „Onkel Wanja“. Rüdiger Hentzschel hat inszeniert und dabei alles richtig gemacht. Er versteht den russischen Theatertitanen – wie der sich selbst – als Komödienautor, er versteht es auch aus dessen ewiggültigem Text den Sukkus zu ziehen, der am mehr als hundert Jahre alten Stück gerade heute interessiert. Hentzschel führt eine Wohlstandsgesellschaft vor, die ob drohender Veränderungen um ihre Werte zittert. Um jeden Preis gilt es, bestehende Standards aufrecht zu erhalten, doch fällt das schwer, hat man sich in der Frage nach Tun oder Nichtstun längst für Zweiteres entschieden. So ist denn auch der Aufbruch ins Neue unmöglich, viel wird geredet, nichts unternommen, und die beste aller Welten ist immer noch die Scheinwelt. In der kann man sich’s ungemütlich einrichten, sich in den Verstrickungen des Lebens verheddern und an der eigenen Existenz laborieren. Dass diese Seelenqualen für den Betrachter von außen komisches Potenzial haben, hat Hentzschel mit offensichtlichem Genuss auf die Bühne gehoben. Sein Abend ist für die Lach- wie Denkmuskeln gedacht. Dabei hat er auf jeden Schnockes verzichtet und ganz auf die Macht des Wortes vertraut. Im von ihm gestalteten Bühnenraum stapeln sich die Stühle. So unaufgeräumt wirkt das Bild wie die Psyche der Figuren, die Hentzschel mit seinem Ensemble prägnant in Szene setzt. Die Darsteller haben ihre Charaktere fein geschliffen, mit Verve wird aneinander vorbeigeredet, -gelebt und -geliebt. So viel Freude am Spiel überträgt sich freilich aufs Publikum, das am Ende der höchst erfreulichen Aufführung amüsiert applaudierte. Moettingers-Meinung.at, Michaela Moettinger |
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Onkel Wanja Die Liebe, das Geld, die Vergeblichkeit. Die Klassischen Themen Tschechows in seiner wohl menschlichsten Meisterkomödie. Gott ist gnädig. Gegen Kummer hilft Lindenblütentee. Das Leben tut fast gar nicht weh, draußen am Land in der russischen Provinz, wo Iwán Petrówitsch Wojnízkij - oder „Onkel Wanja“, wie ihn seine Nichte Sonja nennt - seit fünfundzwanzig Jahren das Landgut seiner verstorbenen Schwester verwaltet. Sein eigenes Erbteil hat er dafür aufgegeben, jung ist er auch nicht mehr, und die bescheidene Existenz wird immerhin aufgelockert durch die Besuche des ebenso unterhaltsamen wie vom Leben enttäuschten Alkoholikers und Bezirksarztes Dr. Àstrow, den seine Nichte heimlich verehrt. Doch dann kommt aus Moskau Sonjas Vater, der Professor, welcher bis jetzt von den Erträgen des Gutes gelebt hat, zusammen mit seiner neuen zweiten Frau, der außergewöhnlich schönen Jeléna, und bringt nicht nur mit seinen fragwürdigen neuen Plänen Unordnung in die fragile Idylle… Kritik In der Wiener Scala ist gerade ein Onkel aus Russland zu Besuch. Offenbar ein etwas schwieriger Charakter: ein unzufriedener, geradezu misanthropischer Mensch, der verpassten Chancen und Lebenshoffnungen hinterhertrauert – und unglücklich verliebt ist er obendrein. Da es sich bei ihm aber um eine Tschechow´sche Figur handelt, kann er seiner üblen Laune auf sehr beredte, mitunter sogar tragikomische Weise, Ausdruck verleihen (und manche Sätze machen uns schlagartig klar, welch guter Lehrmeister Tschechow für Thomas Bernhard gewesen sein muss). Zur selbstgewählten Untätigkeit verdammt, kostet Dirk Warme in der Titelrolle zungenfertig die Tristesse des Landlebens aus. Doch Onkel Wanja ist nicht der Einzige, den das Dasein enttäuscht. Auf dem russischen Landgut, das er bewirtschaftet, machen auch alle anderen Anwesenden keinen sehr glücklichen Eindruck. Einzig Margot Ganser-Skofic tritt als alte Kinderfrau richtig sympathisch in Erscheinung – so eine Erzieherin voll resoluter Herzensgüte hätte sich jeder von uns einmal gewünscht. Rainer Friedrichsen hingegen spielt den umtriebigen Professor Serebrjakow als lebensmüden wehleidigen Quälgeist, der seine Umgebung mit angeblichen rheumatischen Beschwerden belästigt und die viel jüngeren Ehefrau terrorisiert. Diese Jeléna muss zudem mit dem Misstrauen ihrer Stieftochter fertig werden, fühlt sich verwirrt, weil Wanja sie offen unwirbt und glaubt obendrein, in dieser Umgebung eine bloße Randfigur zu sein – eine Befürchtung, zu der die Darstellerin Selina Ströbele nun garantiert keinen Grund hat. Rainer Doppler erscheint als Arzt zunächst als positive Figur: er hat Ideale, setzt sich für Umweltschutz ein und scheint tatsächlich etwas bewirken zu können, doch sobald ihm der Alkohol die Zunge löst, offenbart auch er den Lebensüberdruss. Jeder von ihnen wird durch die Macht der Verhältnisse gelähmt und keiner findet die Kraft, daran aus eigenem Antrieb etwas zu ändern. Sogar der Samowar gibt in dieser matten Atmosphäre nur lauwaren Tee von sich. Die Figuren leben wie in einem Gefängnis und Regisseur Rüdiger Hentzschel, dem wir auch die Raumgestaltung verdanken, hat sich etwas Eindrucksvolles ausgedacht, um das zu visualisieren: eine Stuhlbarriere. Imposant übereinandergetürmte Sitzgelegenheiten rahmen nämlich die Bühne ein und errichten einen Bannkreis des Privaten. Hoffentlich spricht sich in Familienkreisen bald herum, dass sämtliche Onkel, Tanten und sonstige Verwandten hier erfahren können, welch einen anregenden Theaterabend russische Schwermut ergibt. events.at, Franco Schedl |
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