"Tannöd"

Stoßgebete in einen Himmel voller Leitern. Das Theater zum Fürchten beschäftigt sich mit einem Sechsfachmord. "Tannöd" im Theater Scala baut nachhaltig Spannung auf

Andrea Maria Schenkels Kriminalroman Tannöd (Edition Nautilus 2006) beruht auf einer wahren Begebenheit: Im Jahr 1922 wurde in einem oberbayerischen Dorf eine wohlhabende Bauernfamilie samt ihrer Magd brutal ermordet: Vater, Mutter, deren erwachsene Tochter mitsamt ihren beiden kleinen Kindern. Schenkel hat die Geschichte in die Nachkriegszeit transferiert, 2009 wurde das Buch verfilmt. Eine Theaterfassung (von Maya Fanke und Doris Happl) ist derzeit im Theater Scala zu sehen.
Wald aus Leitern
In einem Dickicht von in den Schnürboden aufragenden Holzleitern bewegen sich acht Schauspieler, die – wie im Zeugenstand – aus verschiedenen Blickwinkeln den Sechsfachmord zu klären versuchen. Der historische Fall blieb unaufgelöst. Die Beobachtungen und das Wissen der nacheinander eingeführten Figuren laufen in minutiös kleinen Schritten allmählich auf die Tat zu. Szenische Rückblenden, im Gestänge der Bühne oft nur kurz angedeutet, illustrieren dieses Erzähltheater, das in der Regie Rüdiger Hentzschels zunehmend Spannung aufbaut. Die Inszenierung belässt das Geschehen im historischen Kontext der Fünfzigerjahre (grobes Bauernwams, Flechtzöpfe) und belebt das Lokalkolorit mittels Stoßgebeten (Gottgläubigkeit) und Jodelgesängen. Viele Textstellen der direkten Rede werden im Dialekt gesprochen, wobei jeder der Schauspieler seine eigene Sprachfärbungen einbringt: "De san bestimmt im Hoiz") Der Krimidramaturgie folgend werden Fährten ausgelegt, die den Kreis denkbarer Verdächtiger erweitern und neue mögliche Motive für die Tat aufwerfen. Der Abend entwickelt auf diese Weise erzählerische Breite und mit seinen minimalistischen Mitteln zugleich Atmosphäre. Wie in vergleichbaren familiären Massakern, von Sergio Leones Western Spiel mir das Lied vom Tod bis zu dem von Andreas Prochaska verfilmten Roman Das finstere Tal von Thomas Willmann, ist es das Zusammenspiel von Heftigkeit und Rätselhaftigkeit einer Tat, das seine Wirkung tut. Das Erlösende: Schenkels Roman und auch die vorliegende Stückfassung haben einen Mörder gefunden. Der historische Hof wurde einst abgerissen. (Margarete Affenzeller, 5.12.2015)

Margarete Affenzeller, 4. Dezember 2015.

Theater Scala: Tannöd

Das „Theater zum Fürchten“, in diesem Fall in seiner Wiener Spielstätte Scala, findet erfreulicherweise immer wieder interessante Stücke. Diesmal ist es ein historischer Kriminalfall, der als Vorlage zu einem Roman von Andrea Maria Schenkel diente, der seinerseits wieder die Grundlage für das Drama „Tannöd“ bildete. Ob diese Kette in der Praxis funktioniert, hat sich DieKleinkunst-Redakteur Gerd Kern angesehen.

Die Ausgangssituation für „Tannöd“ ist wirklich interessant: Am 1.April 1922 wurde in Hinterkaifeck eine sechsköpfige Bauernfamilie in ihrem abgelegenen Hof brutal mit einer Spitzhacke ermordet. Es gab zahlreiche Vermutungen und Verdachtsmomente, doch wurde der Fall nie geklärt. Die Autorin Andrea Maria Schenkel faszinierte diese Bluttat so sehr, dass sie daraus einen Roman erarbeitete. Sie verlegte die Handlung allerdings in die 1950er-Jahre und in das fiktive Gebiet Tannöd. Es gab in der Folge zwar gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Journalisten Peter Leuschner, der zwei Dokumentationen zu diesem Thema veröffentlicht hatte und Plagiatsvorwürfe erhob, doch änderte das nichts daran, dass Schenkel für ihren Roman zahlreiche Preise erhielt. In der Folge erschien die Geschichte auch als Hörbuch und wurde sogar von Brigitte Oberli verfilmt. Von diesem Roman erarbeiteten Maya Franke und Doris Happl eine Bühnenfassung, die jetzt in der Inszenierung von Rüdiger Hentzschel auf die Bühne der Scala kam. Wenn der Vorhang aufgeht und man das Bühnenbild sieht, wird sofort klar, dass eine ungewöhnliche Aufführung zu erwarten ist. Auf der Bühne sieht man nämlich 21 Leitern, die in unterschiedlichen Winkeln zur Decke - oder symbolisch zum Himmel - führen. Und wie perfekt es gelingt, mit dieser spartanischen Ausstattung die verschiedenen psychologischen und räumlichen Ebenen darzustellen, ist mehr als beeindruckend. Aber auch der Umgang mit dem düsteren Inhalt selbst gelingt überzeugend. Die acht SchauspielerInnen schlüpfen in kurzen Szenen in rund 40 verschiedene Rollen und unterschiedliche Zeitebenen. Das erfolgt so logisch, dass der Zuschauer intensiv in den Ablauf der Ereignisse, aber auch in die Überlegungen der handelnden Personen hineingezogen wird. Mosaikartig werden Gedanken und Aussagen der direkt Beteiligten, aber auch von Dorfbewohnern miteinander verwoben. Überzeugend wird die dumpfe Atmosphäre der bäuerlichen Situation der 50er-Jahre dargestellt, aber auch die Abhängigkeiten, ja geradezu sklavenartigen Umstände, unter denen Mägde, Knechte, aber auch die Familienangehörigen eines dominanten Bauern vegetieren mussten. Es wird beklemmend realistisch gezeigt, wie sie materiell und sexuell bis zum Inzest ausgebeutet wurden und „die Obrigkeit“ einfach wegsah. Die Bauernfamile Tanner taumelt in nahezu biblischen Dimensionen ihrem Schicksal entgegen und das Mitleid der Gemeinde hält sich in Grenzen, denn „mit denen ist man nicht warm geworden“, meint eine Bewohnerin des Ortes. Auch die grauenvolle Behandlung einer Zwangsarbeiterin während des Krieges, die sich aus Verzweiflung erhängte, wird thematisiert. Dadurch kommt der Verdacht auf, dass ihr Bruder als Rache die Morde begangen haben könnte. Aber es ergeben sich auch zahlreiche andere, durchaus schlüssige Motive für dieses Massaker. Es soll hier allerdings nicht näher auf die Handlung eingegangen werden, denn im Gegensatz zur Realität präsentiert das Stück am Ende den Täter. Die Aufführung bietet eine spannende Vermischung von Krimihandlung und realistischem Volksstück, das zugleich fesselt und schonungslos die Engstirnigkeit und Gnadenlosigkeit dieser Umstände aufzeigt. Sehr schnell wird klar, dass hier nicht ein Albtraum, sondern historische Realität abgebildet wird. Regisseur Rüdiger Hentzschel, der auch für das eindrucksvolle Bühnenbild verantwortlich zeichnet, ist hier eine exemplarische Aufführung gelungen, die beweist, wie packend historische Ereignisse auf die Bühne gebracht werden können. An dieser Stelle sollten üblicherweise die Leistungen der Darsteller aufgezeigt und kritisiert werden, doch agiert das gesamt Ensemble so überzeugend, dass „nur“ ihre Namen angeführt werden – versehen mit dem gemeinsamen Prädikat: Beeindruckend! - Monica Anna Cammerlander, Carina Thesak, Johanna Withalm, Birgit Wolf, Sebastian Anton Maria Brummer, Bernie Feit, Hermann J.Kogler und Wolfgang Lesky. Zum Schluss nur noch eine sehr wichtige Anmerkung: Den Besuch dieser Aufführung sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen!

Die Kleinkunst, Gerd Kern, 2.12.2015

„Es gibt keinen Gott auf dieser Welt, es gibt nur die Hölle“.

Das ist der letzte Satz, der auf der Bühne gesprochen wird. In „Tannöd“, einem Kriminalfall, den Andrea Maria Schenkel 2006 in Romanform veröffentlichte und der nun in einer Bühnenfassung im Theater Scala in Wien zu sehen ist.

Sechs Menschen wurden auf einem Bauernhof brutal abgeschlachtet. Bauer und Bäuerin, die Tochter und ihre beiden Kinder sowie eine Magd. Wie es dazu kam, erfährt man in einer Inszenierung von Rüdiger Hentzschel. Dieser schafft mit einer höchst kunstvollen Taktung des Geschehens einen Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Minute. Ganz idyllisch lässt er das Stück mit einem 8-stimmigen Jodler beginnen. Wohl fühlt man sich dabei aber trotzdem nicht, zu herb ist das ebenfalls von Hentzschel verantwortete Bühnenbild. 20 Leitern sind auf der Bühne angeordnet, ein unüberblickbares Gewirr von Holzstangen, gebettet auf stark duftendem Rindenmulch. Bald schon wechselt der Gesang zu kollektiv gesprochenen Gebeten und unendlich langen Fürbitten, während das Ensemble mit gefalteten Händen zwischen den Leitern hin- und her schreitet. Die authentischen Kostüme (Alexandra Fitzinger) lassen ebenfalls keinen Zweifel aufkommen; die Menschen, die hier in volksgläubiger Manier religiöse Hirnwäsche betreiben, sind bäuerlicher Abstammung. Sie sind Bewohner nicht nur eines Bauernhofes, sondern auch der benachbarten Höfe und des kleinen Ortes, in dem der Pfarrer und der Bürgermeister das Sagen haben. Noch gibt es keine Handys, noch ist nicht jede Familie in Besitz eines Autos oder Fernsehers. Der Hof der Danners liegt abgelegen, die Familie ist eigenbrötlerisch. Niemand geht gerne zu ihnen, als geizig ist der Bauer und seine Sippschaft verschrien. Vom Leid, das die Frauen dort ertragen müssen, erfährt man aus den knappen aber eindringlichen Erzählungen der Bäuerin und ihrer Tochter Barbara. Missachtet und geschlagen die eine schon kurz nach der Hochzeit, missbraucht vom eigenen Vater als junges Mädchen die andere. Aber das Dorf, in dem über alles und jedes geredet wird, hält still. Eine Figur nach der anderen wird langsam vorgeführt, oft nur mit wenigen Sätzen charakterisiert. Diese reichen aber aus, um nach und nach ein Bild von der dörflichen Gemeinschaft und jenes Geschehens zu bekommen, das die Bewohner des Landstrichs in ihren Grundfesten erschütterte – dem Mord an der Familie Danner, die komplett ausgelöscht wird und dem auch die Magd Marie zum Opfer fällt. Was zu Beginn gezeigt wird, ein Gesang und eine Gebetslitanei, erweist sich als kluger Regiegriff, mit dem höchst kunstvoll die einzelnen Szenen in weiterer Folge voneinander getrennt werden. So kann das Publikum, ohne jegliche Umbauten, die unterschiedlichen Orte und Handlungsstränge voneinander unterscheiden. Auf diese Weise wird ein- und dieselbe Bühnenausstattung zur Stube des Dannerhofes, zum Dachboden desselben, zum Haus des Bürgermeisters oder des Pfarrers und zur Kirche, in der gemeinsam der Rosenkranz gebetet wird. Direkte und indirekte Rede, die dazu dient, die Handlung voranzutreiben, wechseln einander ab. Der Bauer, der auf dem Hof „der Herrgott“ war, bleibt einsilbig, wird nur angesichts von Fußspuren nervös, die zum Hof hin- aber nicht mehr wegführen. Michel, der Einbrecher, hat Zeit zu erklären, wie er zum Dieb wurde. Ihn kann man bei seinem Einbruchsversuch verfolgen, den er genau zu dem Zeitpunkt durchführen wollte, als das große Töten auf dem Hof stattfand. Zur falschen Zeit und am falschen Ort wird er Zeuge der Tat, ohne den Täter jedoch gesehen zu haben. Behauptet er zumindest. Wer der Täter war, ist die große Frage. Denn es gibt mehrere Möglichkeiten. Vinzenz, der Barbaras Tochter gezeugt haben soll, dann aber nach Amerika auswanderte?Georg, der sich nach dem Tod seiner Frau in Barbara verliebte und mit ihr den Sohn Josef bekam? Der Einbrecher, der nach der Tat psychisch erkrankte oder jener „Fremdarbeiter“, der sich für den Tod einer jungen Frau rächen wollte, die sich auf dem Hof während des Krieges erhängte? Neben den Hauptpersonen haben rund zehn weitere ihren Auftritt, was für das extrem homogene Ensemble Mehrfachbesetzungen bedeutet. Dabei decken die Frauen mit ihren Rollen, Monica Anna Cammerlander, Carina Thesak, Johanna Withalm und Birgit Wolf, all jene Charaktereigenschaften ab, die es in einer sozial höchst ungesunden, kleinen Dorfstruktur zu finden gibt: Sie sind unterwürfig, ängstlich, tratschsüchtig, bigott. Barbaras Ausbruchsversuch bleibt letztlich ohne Konsequenz für sie und ihre Familie. Ohne Eitelkeit, extrem glaubhaft und berührend von Johanna Withalm dargestellt, ist sie jener ungewollte Mittelpunkt des Geschehens, der von Beginn bis zum Schluss das bittere Los eines weiblichen Opfers tragen muss. Unter die Haut geht jene Szene, in der sie sich neben ihrem Vater auszieht und wäscht, während dieser (Hermann J. Kogler) in Unterwäsche ein unangenehmes Gefühl von abstoßender, körperlicher Nähe über die Bühnenrampe bringt. Kogler schlüpft auch in die Rolle eines Knechts sowie des Pfarrers, der sich seiner giftspritzenden Köchin nicht erwehren kann. Sebastian Anton Maria Brummer, Bernie Feit und Wolfgang Lesky geben dem Monteur, dem Briefträger, dem Bürgermeister und Barbaras Liebhaber Vinzenz kantige Profile. Der Vorfall basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1922. Im Gegensatz zur Bühnenfassung, die mit der Entlarvung des Täters endet, wurden die Morde auf dem Einödhof Hinterkaifeck nie aufgeklärt. „Tannöd“ in der Scala ist ein dunkles Stück, erstklassig besetzt, dessen Regie die knappen Textpassagen spröde aber anschaulich umsetzt. Es ist ein theatralisches Streiflicht in eine Zeit, in der ein grausames Patriarchat von einer obrigkeitshörigen Gesellschaft gedeckt wurde. Die Inszenierung hebt nicht das Mordgeschehen in den Vordergrund, sondern vielmehr die gesellschaftlichen Umstände, die zu diesem überhaupt führen konnten. Die Tötung der Danners hat zwar in letzter Konsequenz ein Mensch durchgeführt. Die Schuld am Leid der Familie verteilt sich aber auf viel mehr Schultern. Ein großer Stoff und großes Theater in einem kleinen Haus. Sehenswert!

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TANNÖD

Kritik Für das Grauen braucht es kein Blut. Auch keine Leichen. Für das Grauen reichen manchmal auch Worte. Zumindest im Stadttheater Mödling. Dort hat Rüdiger Hentzschel „Tannöd“ auf die Bühne gebracht. Und lässt unter himmelhohen Leitern und teppichdickem Laub das Entsetzen ebenso wachsen wie die Spannung. Da wird in Hosenträgern und Leibröcken inbrünstig gebetet und innig gejodelt. Vor allem aber wird erzählt. Von braven Mägden und missbrauchten Töchtern, von dreisten Dieben, gierigen Bauern und bigotten Bürgermeistern. Und das ist gerade weil man von der eigentlichen Tat nicht alles hört und so gut wie gar nichts sieht, umso packender. Großartig: das Ensemble. Fazit: Ein Kriminalfall im Wörterwald – entsetzlich spannend, grauenhaft gut!

NIEDERÖSTERREICHISCHE NACHRICHTEN, mf

Das Publikum ist Augenzeuge und Ermittler

Die Leitern reichen bis in den Himmel, aber bis zum Herrgott wird trotzdem keiner gelangen. Mit dem von ihm gestalteten Raum gibt Regisseur Rüdiger Hentzschel die Richtlinie des Abends vor. Im dichten Wald der Sprossen-Wände ist kein hoch-, weiter- oder vorbeikommen. Man muss durch Neid und Niedertracht und Vernaderei. Und die Fürbitten bleiben ungehörte Anträge. Das Theater zum Fürchten zeigt in seiner Wiener Spielstätte, der Scala, „Tannöd“. Landkrimi live, sozusagen. Maya Fanke und Doris Happl haben den mit dem Glauser-Preis ausgezeichneten Bestseller von Andrea Maria Schenkel dramatisiert. Der basiert auf einer wahren Geschichte: Auf einem Bauernhof in Oberbayern wurden sechs Menschen ermordet gefunden, das Austragsbauernehepaar, die Kinder, die Magd. Bis heute wurde kein Täter ausgeforscht. Schenkel verlegte die Handlung von 1922 nach 1955. Die NS-Vergangenheit einiger Dorfbewohner kann so eine Rolle spielen. Hentzschel zeigt mit acht Schauspielern eine ganze Dorfgemeinschaft. Zeigt Engstirnigkeit und Kleingeistigkeit, „die geistige Enge ist fast körperlich zu spüren“, heißt es an einer Stelle, und das Schicksal der armen Leute. Verwandte, Bekannte, Nachbarn, ein Handwerker auf Montage, eine polnisch-jüdische Zwangsarbeiterin, die sich erhängt hat, die Pfarrersköchin. Keine Freunde, denn der Danner und die Dannerin hatten keine. Die in der Einschicht waren einsilbige Eigenbrödler. Die Dörfler machen ihre Aussagen, teils mit selbstmitleidigen Tränen in den Augen, der hat etwas gesehen, der auch, wenn’s nur wen zum Ausrichten gibt … Der Dorftratsch rotiert. Die Aufregung ist so groß wie das Mitleid gering. So reihen sich Beobachtungen und Erinnerungen aneinander; katholische Spukgeschichten, wie die von der wilden Jagd, Gerüchte und Hörensagen verschränken sich ineinander. Was dem einen an einem Menschen „brav“ ist, nennt ein anderer „blöd“. Aus dem Mosaik ergibt sich allmählich ein Gesamtbild. Auch die Opfer kommen zu Wort. Und der Täter, noch als solcher unerkannt. Am liebsten reden die Leut‘ eh über sich selber. Am besten wird Gift und Galle gespuckt. Manche Szenen sind choreografiert wie aufgespielt zu einem Landler. Das Publikum ist Augenzeuge und Ermittler, verliert sich in falschen Verdächtigungen und unrichtigen Vermutungen. Die Schreckspirale dreht sich schneller und schneller. Es ist ein vom Krieg verhärteter Menschenschlag, den das TzF-Ensemble zeigt. Die Gesichter der Darsteller, darunter Birgit Wolf, Monica Anna Cammerlander, Carina Thesak und Sebastian Anton Maria Brummer, sind wie von Wind und Wetter verhärmt. So wie sie sind, sind sie ein Bauernstand wie von Egger-Lienz gemalt. Kantig, knurrig, gefühlskalt. An die dreißig Figuren werden gestaltet. Hut auf, Jacke aus – neuer Protagonist. Für jeden findet die Truppe eine Stimme, eine Stimmlage aus Angst und Wut und Augen verschließen vor dem Leid anderer, aber manchmal auch der Entschlossenheit, etwas zu ändern. Bernie Feit spielt den kleinkriminellen Einsteiger Michl, der unfreiwillig und mit dem man Zeuge der Morde wird. Wolfgang Lesky ist als verwitweter Schwiegersohn nun scharf auf die andere Tochter. „Die Männer sind alle gleich in ihrer Gier, in ihrer widerlichen Lüsternheit.“ Hermann J. Kogler ist Bürgermeister und Pfarrer, beide von Vergangenheit-ruhen-lassen-Mentalität, und als Danner ein herrischer Hoftyrann. Johanna Withalm ist die unschuldige Magd Marie, getötet an ihrem ersten Arbeitstag, und Danner-Tochter Barbara. Sie, die die Siegerin sein könnte, wird zu des Rätsels Lösung. Am Ende gibt es drei Verdächtige, ein Kind, das einen Vater zu viel hat, und die Aufdeckung eines grausigen Inzest. Das heißt: Gewusst haben es alle, aber … Rüdiger Hentzschel ist eine ausgezeichnete, atmosphärisch dichte Untersuchung der bigotten-postfaschistischen Provinz gelungen, sein Versuch einer Erklärung, wie (männliche) Macht und Gewalt den einzelnen bis zur Wahnsinnstat knechten, hebt diesen Abend aber über die Dorfgrenzen hinaus. Das Ensemble agiert großartig, wie aus einem Guß, so wie sie sind, möchte man sie in einen „Tannöd“-Film stellen, doch das braucht’s nicht, denn der Spielraum Scala ist für Close-ups ja gut geeignet. Für eine Aufführung wie diese müsste der Begriff luzider Albtraum erfunden werden. Die Furchtbarkeiten auf dem Dorf werden noch kein Ende haben, unter dem Mordsblut blitzen noch ganz andere Geheimnisse auf. Manchmal gibt es Schlimmeres, als mit der Reuthaue erschlagen zu werden.

Mottingers Meinung.at, Die Online-Kulturzeitschrift, MICHAELA MOTTINGER

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