Überzeugender Wurf: Wider das Vergessen

Eine Collage über Todeslager, den Holocaust, Verharmlosung des Nazismus in der Theater Halle 11. „Was geht uns das an?“ fragt das „klagenfurter ensemble“.

Es müsse doch endlich "eine Ruh` damit" und der Blick nach vorne gerichtet sein, nicht in die Vergangenheit. Man kennt sie, diese abscheulichen Feststellungen. Gegen die Forderung, die Erinnerung zu vernichten (vom Bedauern gar nicht zu reden) hat sich, natürlich erfolglos, der Philosoph Theodor W. Adorno drastisch ausgesprochen: "Die Ermordeten sollen noch um das einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis", bedauerte er in einem Essay zur Aufbereitung des Holocaust. "Was geht uns das an?", lautet denn auch der zwar fragende, das oben Angedeutete aber dennoch scharf umreißende Titel einer bemerkenswerten Produktion des "klagenfurter ensemble", welche Dienstagabend zur Uraufführung gelangte. Die Zusammenstellung der Collage aus Texten des Schriftstellers Werner Kofler besorgte Rüdiger Hentzschel, der auch für das Raumkonzept und die Regie verantwortlich zeichnet. Der in Villach geborene, vor einem halben Jahr verstorbene Kofler hat Literatur als "Verbrechensbekämpfung" erachtet - und vermochte, selbstverständlich, diesem Anspruch nicht gerecht zu werden. Wie so viele Bedeutende vor ihm. Denn: Selbst beste Literatur ist nicht imstande, aus Köpfen und Seelen blasen, was dort an Schlechtem und Üblem und Gleichgültigem nistet und mistet. Mit "Was geht uns das an?" ist Rüdiger Hentzschel ein großer, von Tiefe und Weite getragener Wurf gelungen. In das Theater gelangen die Besucher über einen stockfinsteren, verwinkelten Stollen, durch sozusagen Paul Celans Schwarze Milch. In einem Vorspiel führt man den aktuellen Klagenfurter Bürgermeister vor - mittels Wiedergabe eines über die Maßen peinlichen Interviews, nein: eines von erschreckendem Unwissen getragenen Gestammels dieses "Stadtvaters" zum Thema Weltkrieg und Nazismus. Der Premiere wohnten Leute bei, die nicht davon überzeugt werden müssen, dass Holocaust/Nazismus den schrecklichsten Zivilisationseinbruch der Geschichte darstellten. Aber wenigstens sie waren vorhanden! Uneingeschränkt zu loben sind die schauspielerischen Leistungen. Stellvertretend für dessen Kolleginnen und Kollegen sei Peter Raab genannt. In des Lebens Herbst angelangt, agiert der Künstler, um es banal auszudrücken, immer besser und überzeugender. Spröde Mimesis ist seine Sache nicht. Raab demonstriert, auf hohem sprachlichen Niveau rangierend, die gefährliche Seite der Göttin Lethe eindrücklich.

 

KTZ (Kärntner Tageszeitung), Manfred Posch

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Spiel mir das Lied vom Verdrängen



Tintenschwarze Dunkelheit: unsicheres Tapsen und Tasten - ein schwaches Leuchtband, das dem Auge kaum Halt bietet. Dann endlich … Licht am Ende des Schlauchs. Für Besucher im Theater Halle 11 der Beginn eines eindringlichen Abends. Für die Opfer der Nazi-Schreckensherrschaft der letzte Weg zu den Gaskammern. „Was geht uns das an?“ - Viel! Wie die von Rüdiger Hentzschel inszenierte Uraufführung des gleichnamigen Stücks am Dienstag im ausverkauften „ke – Theater Halle 11“ in Klagenfurt zeigt.


Mozarts Zauberflöte, nein die Reichsmusikkammer-, Deutsche Wehrmachts- und Gaupropagandazauberflöte, sie ist verbindendes Element des Nachhilfeunterrichts in Vergangenheitsbewältigung den der 2011 verstorbene Villacher Schriftsteller dem Publikum erteilt.
Dafür verschränkt Regisseur Rüdiger Hentzschel Kofler-Texte aus „Guggile“, „Im Museum“, „Tanzcafé Treblinka“ und „Mutmaßungen über die Königin der Nacht“ zur gleichermaßen virtuosen wie heimatwütigen Collage. Sie stellt Täter und Opfer für ein heißkaltes Stationentheater nebeneinander und nimmt all jene in die Pflicht, die damals wie heute nicht wissen wollen – die nicht gehört, nicht geahnt und nichts gerochen haben.
Wer Kofler liebt, kennt die grelle splitternde Wucht, mit der er seine Sprachmaschine an der Nahtstelle von Realität und Fiktion auf herrschende Zustände eicht, um sie zwischen den messerscharfen Sägeblättern seiner Sätze zu zerfleischen. Doch auch ohne vertiefende Lektüre dieser literarischen „Verbrechensbekämpfung“ wird man sich in der bitter-bösen Farce zur braunen Kärntner Geschichte mühelos zurechtfinden – mit Klagenfurter SS-Schergen nach dem Besuch der Zauberflöte im Tanzcafé Treblinka, pardon Lerch, einkehren und die Partitur des Grauens als bürokratische Stichwortliste zur Massenvernichtungspolitik serviert bekommen.
Aus dem vierzehnköpfigen Ensemble ragen Dietmar Pickl und Peter Raab, die als überzeugte, tollwütige Altnazis Erinnerungsarbeit der penetrant-bösartigen Art betreiben und ausgerechnet von jenen gepflegt werden, die sie vernichten wollten.
So verdichten sich im Verlauf von rund 90 Minuten über zwei parallel verlaufende Text spuren Sichtweisen aller Beteiligten zum eindringlichen Plädoyer wider das Vergessen, das ohne offensichtliches Grauen auskommt und gerade deshalb schaudern macht. Ein absolut sehenswerter Abend, den man nicht verpassen sollte – ein Muss, noch bis 21.Juli

Kronenzeitung, Irina Lino

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Anreden gegen die Unkenntnis

"Was geht uns das an?" Nicht fragen. Hingehen - zur Werner-Kofler-Collage des klagenfurter ensemble.


Es drohen die Verhältnisse und der Autor droht zurück." Der Satz von Bachmann-Preis-Juror Paul Jandl taugt zur Einstimmung auf die Literatur des angriffslustigen Werner Kofler.
Die Uraufführung einer Collage von Texten des im Vorjahr verstorbenen Autors ist dann weniger Drohgebärde als erschütterndes Zerrbild einer Gesellschaft, die sich mit Ignoranz und Halbbildung arrangiert hat. Unfassbar, was der heutige Klagenfurter Bürgermeister Christian Scheider als freiheitlicher Jungspund in einem Interview von sich gab. Auch wenn das Video dem Politiker mittlerweile auch jenseitig vorkommen dürfte - mit Koflers "Museumsführer", der auf Basis der Nazi-Propaganda Geschichtsverdrehung betreibt, ist dieses Zeugnis aus dem Archiv die schräg gesetzte Ouvertüre zur Titel gebenden Frage "Was geht uns das an?"
Regisseur Rüdiger Hentzschel, der die auf peniblen Recherchen aufbauenden Kofler-Texte ausgewählt hat, verschränkt sodann Sequenzen aus "Tanzcafé Treblinka" mit den "Mutmaßungen über die Königin der Nacht". Die Halle 11 mutiert zur Geriatrie, in der die Vergesslichkeit und Oberflächlichkeit des Publikums behandelt wird. Dietmar Pickl und Peter Raab rotieren in Rollstühlen, spucken Reizvokabeln aus: SS, SA, "Unsere Ehre heißt Treue", Lebensborn, die Namen der Kärntner Nazi-Schergen Odilo Globocnik und Lerch. Und setzen bis hin zur "Endlösung" und zu "Goebbels" stets ein geiferndes: "Auch nie gehört?" nach.
In die verdrängte Wahrheit schieben fünf Krankenschwestern Mozarts "Zauberflöte", genauer die fiktiven Schicksale von Sängerinnen der "Königin der Nacht". Koflers poetischer Beweis für die Durchdringung der Kunst mit Politik.
Das Anreden gegen die Unkenntnis dauert knapp 90 Minuten. Eine exakte Arbeit, alles andere als zu vergessen. Besuch dringend empfohlen.

Kleine Zeitung, Uschi Loggi

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