WIEN: „Hysteria” von Terry Johnson, Scala, 27.10.2007 Premiere

Als Terry Johnson – er war damals 27 Jahre alt! – 1982 sein Stück „Insignificance“ vorstellte, erhielt er in seiner englischen Heimat zu Recht den Preis als „Most Promising Playwright“. Inzwischen hat er sich seinen Platz in einer doch recht starken, von Stoppard, Hare, Hampton als bereits „klassischer“ Riege beherrschten englischen Theaterszene gesichert, vor allem mit „Hysteria“ von 1993, wofür er den „Olivier Award Best Comedy“ erhielt. Erstaunlich, wie frisch dieses Stück doch wirkt (was man nicht von jedem sagen kann, das eineinhalb Jahrzehnte auf dem Buckel hat) – aber es ist, schon von der Thematik her, eben zeitlos…
So, wie „Insignificance“ (ein Stück, das sich übrigens auch in der Verfilmung behauptet hat) historische Persönlichkeiten auf die Bühne brachte (Albert Einstein, Marilyn Monroe, Joseph McCarthy und Joe di Maggio, lauter Legenden, wenn auch nicht durchwegs positive), so stehen in „Hysteria” Sigmund Freud und Salvador Dali auf der Bühne, dazu eine von Freuds Patientinnen und sein Arzt, der ihm letztendlich im September 1939 in London den Wunsch erfüllte, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Kurz davor spielt dieses Stück, das dennoch über weite Stellen eine wirklich wahnsinnige Komödie ist, das die Wendung zur abgründigen Tragödie nimmt und beides in einem „Traumspiel“ zusammenfasst, das sich über niemanden legitimer schreiben lässt als über den Verfasser der „Traumdeutung“. Die Vergötterung Freuds setzte ebenso zu seinen Lebzeiten ein wie seine Verteufelung, und Terry Johnson laviert sich kenntnisreich durch eine Geschichte, die tiefenpsychologisch und theaterwirksam zugleich ist und an dem Monument Freud respektlos und liebevoll zugleich herumklopft – ein Vergnügen für Freud-Kenner und alle, die es werden wollen.

Was Salvador Dali surreal gemalt hat, hier auf der Bühne explodiert es in urkomischen Situationen, wenn eine junge Frau nächtlich an die Terrassentür des alten Dr. Freud kommt, Einlass begehrt und ihn an den Fall einer als Kind missbrauchten Hysterikerin erinnert, der ihm keine Ehre gemacht hat. Vor seinem Hausarzt will Freud die junge Frau allerdings verstecken, was zu Feydeau’artigen Situationen führt, in denen Salvador Dali, ein ungebetener Gast, als exzentrischer Künstler und dabei rührender Mensch heftig mitmischt. Es ist eine Achterbahnfahrt zwischen Komödie und Tragödie, wie nur die Engländer sie wagen, und die allerhöchste Ansprüche an die Interpreten stellt.

Hier triumphiert die Aufführung des Theaters Scala in der Wiedner Hauptstraße, denn viel besser könnte man das Stück nichtumsetzen, als es hier im stimmungsstarken Bühnenbild von Johannes Leitgeb und in der doppelt präzisen Regie von Rüdiger Hentzschel geschieht – präzise im Timing der Komik und präzise in der Unbarmherzigkeit der Analyse, die hier drinnen steckt und Freud, dessen Selbstgerechtigkeit bekannt war, in ein Inferno der Selbstzweifel schickt, die er mit aller Gewalt wegstoßen möchte. Peter Faerber ist Freud, der alte, aber bei aller körperlichen Schwäche geistig noch starke Mann, und er ist logisches Zentrum der Gestalten, die um ihn kreisen, stellenweise tanzen: die vorzügliche Monica Anna Cammerlander, die ihn aufrüttelt, der beeindruckende Willy Höller als Arzt, der Freud sein verlorenes Judentum vor Augen stellt, und schließlich als Sahnehäubchen auf der auch höchst wienerisch wirkenden Melange der anbetungswürdig komische Carl Achleitner als Dali, das zauberhafte Genie.

Man wüsste nicht allzu viele Theaterabende in Wien zu nennen, deren Besuch man so uneingeschränkt empfehlen kann.

Renate Wagner, Merkur