Süffig: Yasmina Rezas Stück im Wiener Ateliertheater Wien In einem stilvoll vermufften Exkino in der Wiener Burggasse liegt das Ateliertheater. Ausgerechnet dort, wo die Autos an asiatischen Gaststätten im Eiltempo vorüberbrausen, hat der Komödienweltgeist Zuflucht gesucht und tatsächlich gefunden. Man gibt Yasmina Rezas fröhliche Wohnzimmerschlacht Der Gott des Gemetzels. Rüdiger Hentzschels Inszenierung ist aus dem Scala-Theater in den siebten Wiener Gemeindebezirk übersiedelt. Sie bietet, mit einigen kleineren Einschränkungen, lockersten Edelboulevard, schaumig geschlagen und vorzüglich bekömmlich. Ein Schulbub hat einem anderen auf dem Pausenhof die Zähne eingeschlagen. Die Eltern des Missetäters machen jenen des Opfers ihre Aufwartung. Man gibt sich, mit einem unschönen Wort gesprochen: scheißliberal. Unstimmigkeiten glaubt man wegzaubern zu können, indem man an die gemeinsame Vernunft appelliert. Rezas Stück ist nicht erst seit der Roman-Polanski-Verfilmung die Wasserstandsmeldung zum Stand der kommunikativen Verhältnisse. Würde Philosoph Jürgen Habermas ins Theater gehen, um sich Rezas Stück zu Gemüte zu führen - er müsste seine Theorie des kommunikativen Handelns sofort mit dem Ausdruck aufrichtigen Bedauerns aus dem akademischen Verkehr ziehen. Zügellose Hast Ein wenig ähnelt Hentzschels Aufführung einem Klavierabend der alten sowjetrussischen Pianistenschule. Sie fängt im Prestissimo an und wird von da ab immer schneller. Hat man sich mit den Verzerrungen abgefunden, die durch eine solche zügellose Hast entstehen, kann man sich prächtig amüsieren. Nehmen wir die beiden Gastgeber, Véronique (Monica Anna Cammerlander) und Michel (Dirk Warme). In der Strickwestenverkleidung eines Händlers von Spülkästen steckt ein mürber Ehekrieger, der sein postheroisches Mütchen nur allzu bereitwillig mit Weinbrand kühlt. Seine bessere Hälfte verteidigt zäh und mit eiserner Selbstdisziplin ihren Platz in der Gesellschaft: eine Sitzkriegerin auf dem Sofa. Die Gäste stehen da nicht zurück. Die entzückende Annette (Johanna Withalm) lebt in bedrückender Zweisamkeit mit ihrem Anwaltsgatten Alain (Hendrik Winkler). Der hat vielleicht nicht sein Herz, aber doch sein Ohr dem Firmenhandy vermacht. Kein Wunder also, dass sich Annette in nicht enden wollenden Paroxysmen erbricht, anstatt sich mit den Widersachern auf einen symbolischen Ausgleich zu einigen. Nicht nur in Frankreichs Wohnstuben herrscht Krieg. Hinter dem Gerede vom notwendigen Ausgleich der Interessen nistet die Angst vor Schadenshaftung und sozialer Deklassierung. Im Ateliertheater lässt sich die nach wie vor gültige Diagnose nicht wie Lebertran genießen, sondern wie ein Schlückchen moussierenden Sekts. Der Standard , 19.03.2015, Roland Pohl |